Schweizer Rüstungsgiganten - Rheinmetall Air Defence AG

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Sie heissen Skyranger, Skyshield, Millenium Gun, Seaguard und MANTIS. Sie bekämpfen anspruchsvollste Ziele bei Loiter-, Pop-up- oder Sturzflugangriffen. Sie verfügen über modernste Such- und Folgesensoren, die innert Millisekunden präzise Feuerleitdaten liefern. Bestückt mit programmierbarer Ahead-Munition, deren Zünder eine Zerlegerladung im Geschoss, bestehend aus über 150 Schwermetall-Subprojektile auslöst, können sie Schwarmangriffe von Drohnen effektiv abwehren. Was wie aus einem Science-Fiction-Film klingt, wird im Kreis 11 der Stadt Zürich produziert. Rund 1300 Personen entwickeln und fertigen an der Birchstrasse 155 in Oerlikon komplexe stationäre und mobile Waffensysteme für die Kurzstrecken-Flugabwehr zu Wasser und zu Land.

Mit knapp zehn Milliarden Umsatz im Jahr, 138 Kunden und weltweit über 40 000 Angestellten verteilt auf 174 Standorte ist die deutsche Unternehmung Rheinmetall AG mit Hauptsitz in Düsseldorf Marktführerin bei Flugabwehr-, sowie gross- und mittelkaliberige Waffen- und Munitionssystemen. Einer dieser Standorte liegt ganz in der Nähe des Bahnhofs Zürich-Oerlikon. In der Rheinmetall-Tochtergesellschaft RWM Schweiz AG wird unter anderem der Oerlikon Skyranger, das Flugabwehrsystem MANTIS und die smarte AHEAD-Munition produziert.

Neue Herausforderungen für die Luftabwehr

Die Auflösung des Warschauer Pakts im Jahr 1991 hat zu einer Veränderung der militärischen Bedeutung der Luftabwehr geführt: Nationale Luftverteidigungsfähigkeiten wurden bei nahezu allen Staaten in Europa deutlich reduziert. Seit dem Konflikt in Nagorno-Karabach zwischen Armenien und Aserbaidschan im Jahr 2020, welcher als erster Drohnenkrieg in der Geschichte gilt, hat die Luftabwehr wieder massiv an Bedeutung gewonnen. Nach dem Angriff Russlands auf die Ukraine im Februar 2022 kam es auf beiden Seiten zu einem massiven Einsatz von Drohnen in einer breiten Anwendungspalette von Gefechtsfeldaufklärung und Artilleriebeobachtung bis zum direkten Einsatz von so genannten Kamikaze-Drohnen. Das hat die Nachfrage nach speziellen Systemen zur Bekämpfung von Drohnen in die Höhe schnellen lassen. Die in Zürich produzierten Skyranger werden aber wegen des Kriegsmaterialgesetzes nicht in die Ukraine geliefert. Die Weltmarktführerin kanonenbasierter Luftabwehr liefert die in Zürich gebauten Luftabwehrsysteme aber etwa nach Österreich, Deutschland, Italien oder in die Niederlande. Dort sollen sie kritische Infrastruktur schützen.

Revolverkanonen und smarte Munition

Zur in Zürich hergestellten Produktpalette gehört der Skyranger, ein mobiles Flugabwehrsystem, das von Rheinmetall in Oerlikon nicht nur produziert wird sondern auch entwickelt wurde und sich auf verschiedenen Rad- und Kettenfahrzeugen montieren lässt. Das mobile Flugabwehrsystem zum Schutz von mechanisierten Verbänden oder Konvois gegen Angriffe aus der Luft, besitzt Fähigkeiten zum Selbstschutz vor Angriffen am Boden. Der Skyranger ist mit modernen Such- und Folgesensoren ausgestattet, welche eine nahtlose Luft- und Bodenaufklärung ermöglichen und präzise Feuerleitdaten liefern. Die integrierte 35 mm Oerlikon Revolver Gun bietet hohe Feuerkraft und Präzision. Kombiniert mit der Oerlikon Ahead Air Burst Technologie ist der Einsatz gegen heutige und zukünftige Bedrohungen aus der Luft hocheffektiv.

Nicht nur die mobilen Flugabwehrsystem, sondern auch die intelligente AHEAD-Munition wird in Zürich produziert. Ganz neu ist Air-Burst-Munition nicht. Sie wurde bereits in den 90er-Jahren in Oerlikon entwickelt. Das Geschoss ist mit einer unterschiedlichen Anzahl von Subprojektilen aus einer speziellen Wolframlegierung versehen. In jedem einzelnen Geschoss ist ein individuell programmierter Zünder verbaut. Beim Verlassen des Rohres wird das Geschoss über eine elektrische Zünderprogrammierspule mit Daten aus dem Feuerleitrechner versorgt.

Die Berechnung der Zünderstellzeit erfolgt nach der Messung der Mündungsgeschwindigkeit und Einbeziehung der Zielentfernung und wird für jedes Geschoss induktiv an der Rohrmündung programmiert. Die Mündung enthält die Mess- und die Programmiereinrichtung. Die Bekämpfung des Ziels erfolgt durch den vielfachen Einschlag der Schwermetall-Subprojektile, die durch den individuell programmierten Zünder unmittelbar vor dem angegriffenen Ziel (just ahead of the target) von der Zerlegerladung ausgestossen werden. Die Wirkung im Ziel beruht dabei allein auf der kinetischen Energie der Subprojektile. Ein kurzer Feuerstoss erzeugt durch mögliche unterschiedliche Zündzeitpunkte eine Abdeckung der errechneten Zielposition durch eine Wolke von Subprojektilen. Die Oberfläche des Ziels wird von den Subprojektilen durchschlagen. Durch diese multiplen Durchschläge wird das Zielobjekt zerstört oder zumindest so stark beschädigt, dass es wirkungslos wird.

Die ausgeklügelte Elektronik in jedem AHEAD-Geschoss wird grösstenteils von Hand verbaut. Vor der Auslieferung wird jedes Geschoss zwecks Qualitätskontrolle geröntgt. Eine 30-mm-173-KCE-Revolverkanone kann rund 1200 Schuss pro Minute abfeuern. Das kann bei über 1000 CHF pro Schuss (wobei die genauen Kosten von der spezifischen Version abhängen) schnell teuer werden. Bedenkt man aber, dass die Luftabwehrsystem, die mit den AHEAD-Geschossen bestückt werden, kritische Infrastruktur (etwa Staudämme, Atomkraftwerke oder Regierungsgebäude) schützen, relativieren sich die hohen Kosten wieder.

Steigende Nachfrage nach Fachkräften

Von der Entwicklung der Luftabwehrsystem über die Mischung der Materialien für die Projektile bis zu After Sale Services macht Rheinmetall alles selber. Um möglichst unabhängig zu sein und Lieferengpässe zu vermeiden, fertigt Rheinmetall zahlreiche kritische Komponenten selber. In jedem einzelnen Gerät und in der Munition steckt viel spezialisierte Handarbeit. Dementsprechend ist die Nachfrage nach Fachkräften hoch, da der Konzern aufgrund des aktuellen Auftragswachstums expandiert. So bildet Rheinmetall jährlich 18 Lehrlinge und acht Studierende aus und übernimmt diese auch meist nach Abschluss ihrer Ausbildung.

Rheinmetall produziert nicht nur Kurzstrecken-Flugabwehrsystem, sondern bietet ihren Kunden auch ein «Rundum-sorglos-Paket»: So gewährleistet Rheinmetall einen 24-Stunden Kundendienst, der bei jeglicher Art von Problemen mit den Geräten weiterhilft und bildet das Personal, welches die Luftabwehrsysteme schlussendlich bedienen soll, entweder im Trainingszentrum in Zürich oder direkt vor Ort im Abnehmerland, aus.

Feldversuche auf dem Ochsenboden

Das Erprobungszentrum für Feldversuche der Rheinmetall befindet sich auf dem Ochsenboden, im oberen Sihltal, circa 60 km von der Stadt Zürich entfernt. Zu den Hauptaufgaben des Erprobungszentrums Ochsenboden gehören umfassende Versuche an Waffen, Munition und anderen militärischen Systemen. Die Anlage wurde 1953 von der Contraves Pyrotec AG, einem späteren Unternehmen der Werkzeugmaschinenfabrik Oerlikon-Bührle AG, als Werkschiessplatz Ochsenboden auf einem 160 ha grossen Gelände gegründet. 

Ungewisse Zukunft

Obwohl sich die Rheinmetall Air Defence AG in Oerlikon kaum vor Aufträgen retten kann, das Werk ausbaut und neue Arbeitsplätze in Zürich schafft, ist ihre Zukunft in der Schweiz ungewiss. Die strengen Exportvorschriften des Schweizer Kriegsmaterialgesetzes machen dem Rüstungskonzern zu schaffen. Auch wird der Platz in Oerlikon langsam knapp. Zwar prüft der Konzern, ob im Grossraum Zürich geeignete Flächen für eine Expansion zur Verfügung stehen; eine solche lohnt sich jedoch nur, wenn die Rahmenbedingungen stimmen. Eine bürgerliche Koalition will nun das Kriegsmaterialgesetz stark lockern, um die Schweizer Rüstungsindustrie zu retten. Ausfuhren in kriegsführende Nato-Staaten und die Weitergabe von exportierten Gütern sollen künftig grundsätzlich möglich sein.

Da linke Parteien bereits das Referendum angekündigt haben, wird die Schweiz wohl bald - sollte die Vorlage im Parlament durchkommen - über die Lockerungs des Kriegsmaterialgesetzes abstimmen. Trotz ungewisser Zukunft setzt Rheinmetall weiter auf die Schweiz: Schweizer Stärken wie technische Kompetenz, Bildungssystem, Handschlagqualität, Klarheit, Pragmatismus und gegenseitige Verlässlichkeit sowie das duale Bildungssystem hält die Rheinmetall Air Defence AG weiterhin an ihrem Standort an der Birchstrasse 155 in 8050 Zürich-Oerlikon. 

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